«Von den ersten Symptomen bis zur endgültigen Diagnose vergingen 34 Jahre» 28. Febr. 2025 Anna Maria Columberg-Schnoz leitet unter einer seltenen Erkrankung. Im Interview erzählt sie von ihrem Leidensweg auf der Suche nach einer Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten. Welche Krankheit haben Sie genau?Morbus Pompe aus der Gruppe der Glykogenspeicherkrankheiten (Lysosomale Speicherkrankheit). Diese erblich bedingte Stoffwechselkrankheit macht sich überwiegend durch eine zunehmende Muskelschwäche bemerkbar und wird dadurch auch zu den Myopathien (metabolische Myopathie) gezählt.Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten und wird je nach Zeitpunkt der ersten Symptome in die frühere und die späte Verlaufsform unterteilt.In meinem Fall handelt es sich um die späte late-onset Form von Pompe. Welche Symptome haben Sie?Die Symptome sind sehr vielfältig, unterschiedlich intensiv, situationsbedingt und von der Tagesform abhängig. Sie haben zudem über die Jahre stetig zugenommen. Zu den gravierendsten und Hauptbelastungssymptomen zählen unter anderem:• anhaltende, unerträgliche Erschöpfung, Müdigkeit und Antriebslosigkeit• Atem-, Schluck- und Schlafstörungen• Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen • Probleme beim Treppensteigen, Aufstehen aus dem Sitzen oder aus der Hocke• erschwertes Anheben von Lasten • Mühe beim Laufen oder beim schnellen Gehen• Skoliose• Bandscheibenvorfall Wann sind Sie auf die Symptome aufmerksam geworden?Rückblickend traten die ersten Symptome bereits kurz vor dem 18. Lebensjahr auf. Es begann mit diffusen Schmerzen in den Beinen, die auch nach einem mehrtätigen Spitalaufenthalt nicht zu erklären waren.Ausser den bei der Blutuntersuchung festgestellten, erhöhten Leberwerte, konnten die Ärzte nichts Auffälliges finden, dass die Schmerzen hätte erklären können. Von da an waren die Leberenzyme bei den allermeisten Laboranalysen zum Teil massiv erhöht.Tritt ein Mangel an Glukosidase auf, wie bei Morbus Pompe, kommt es nebst einer Abnahme der Muskelmasse (Muskeldystrophie) auch in der Leber zur vermehrten Glykogenspeicherung. Bei Blutuntersuchungen können daher im Labor erhöhte Leberwerte festgestellt werden. Aus heutiger Sicht schon damals ein erstes Indiz auf dem langen Weg zur Diagnose. Wie lange hat es bis zu einer präzisen Diagnose gebraucht?Von den ersten Symptomen im Jahr 1982 hat es insgesamt 34 Jahre gedauert bis zur endgültigen Diagnose im Jahr 2016. Es waren dutzende Ärzte und Fachärzte involviert, zudem waren ambulante und stationäre Klinikaufenthalte in verschiedenen Spitälern, Abteilungen, Kantonen und ein mehrwöchiger Aufenthalt in einer spezialisierten Rehaklinik notwendig.Ich war bereits im Kindesalter etwas kränklicher als meine vier Geschwister. Mit den Jahren haben die Beschwerden immer mehr zugenommen und die symptomfreie Zeit wurde dadurch immer seltener. Hatte ich in den achtziger Jahren noch Phasen ohne grössere Einschränkungen und mit Schmerzen in erträglichen Mass, wurden diese zusehends unvorhersehbar und die dauernde Fatigue entwickelte sich immer mehr zum Hauptproblem.Im Verlauf wurden verschiedene Diagnosen gestellt. Als erstes Fibromyalgie. Später dachte man an eine Polymyalgia rheumatica, eine Hasthimato Thyreoiditis sowie eine Spondarthropathie. Den Diagnosen gingen jeweils umfangreiche Abklärungen voraus.Schliesslich bin ich durch mein Studium der Tierpsychologie und Tierhomöopathie für Hund/Katze/Pferd auf die Möglichkeit eines eventuell vorliegenden oder bestehenden Gendefekts aufmerksam geworden.Während dieser Ausbildung stiess ich dann auch im Jahr 2011 auf die seltene lysosomale Speicherkrankheit Morbus Fabry. Bis auf die Ablagerungen in der Niere, die bei dieser Erkrankung am stärksten im Vordergrund stehen, waren die übrigen Symptome bei mir zu ca. 95 Prozent identisch.Ich wusste damals jedoch noch nicht, dass Fabry zu einer Gruppe mit etwa 45 erblich bedingten Stoffwechselerkrankungen zählt, die durch Fehlfunktionen im Lysosom ausgelöst werden.Es dauerte nochmals fünf weitere Jahre bis ich durch Zufall auf das Muskelzentrum in St. Gallen aufmerksam wurde. 2016, 34 Jahre nach Beginn der ersten Symptome, erhielt ich dort endlich die richtige, korrekte und zutreffende Diagnose. Dort wurden anhand verschiedener Tests die verminderte Enzymaktivität nachgewiesen sowie zwei krankhafte genetische Mutationen gefunden.Das hat dazu geführt, dass ab 2017 eine Enzym-Ersatztherapie eingeleitet werden konnte. 2023 erfolgte ein Wechsel auf ein neueres Medikament mit dem Namen Nexviadyme.Wenn der Verdacht auf einen Morbus Pompe vorliegt, kann die Diagnostik mit wenig Aufwand eingeleitet werden. Es reichen wenige Tropfen Blut für einen Trockenbluttest auf einer speziellen Filterkarte aus. Im zweiten Schritt erfolgt dann der Nachweis der zugrundeliegenden genetischen Mutation. Eine Muskelbiopsie ist höchstens bei unklarem genetischem Befund erforderlich.Die Morbus Gaucher ist die erste-, die Morbus Fabry die zweite- und die Morbus Pompe die dritthäufigste lysosomale Speicherkrankheit, alle kommen aber äusserst selten vor. Gerade diese Tatsache zeigt wie wichtig es ist, einer Unter- und Spätdiagnostizierung so schnell wie möglich entgegenzuwirken. Seit einem Jahrzehnt ist der Morbus Pompe nun dank einer Enzymersatztherapie behandelbar. Wie haben Sie und Ihre Familie die Suche nach einer Diagnose erlebt? Was war schwierig oder belastend?Die über drei Jahrzehnte dauernde Odyssee auf der Suche nach Spuren oder dem Grund der stetig zunehmenden Schmerzen und die für mich gefühlt nie enden wollende Erschöpfung waren der reinste Spiessrutenlauf.Die unzähligen Ärzte, Spezialisten und Spitaltermine auf der Suche nach der richtigen Diagnose haben viel Zeit und Lebensqualität gekostet und bei mir und meinem Mann in vielerlei Hinsicht tiefsitzende Spuren hinterlassen. Nebst den vielen Untersuchungsterminen darf man die Suche nach einem geeigneten Medikament zur Linderung der Symptome auch nicht ganz ausser Acht lassen.Von der ersten Diagnose Fibromyalgie im Jahr 1997 bis zur Diagnose Morbus Pompe im Jahr 2016 wurden verschiedenste Arzneien verschrieben und deren Wirkung ausprobiert. Bild Hatten Sie in der Abklärung auch manchmal das Gefühl, nicht genügend ernst genommen zu werden?Die täglichen und zum Teil intensiven Schmerzen, die jahrelange Fatigue und alle anderen dazukommenden Symptome wurden als rein subjektiv betrachtet und in die psychosomatische Schiene eingeordnet. Ich wurde bei den Abklärungen unter anderem sogar als Person mit akzentuierten anankastischen, narzisstischen und selbstunsicheren Persönlichkeitszügen bezeichnet und diagnostiziert.Das führte oftmals zu Gefühlen der Verzweiflung gepaart mit ziemlich vielen Selbstzweifeln, eine Portion schwarzem Humor wie auch Gefühle der Ohnmacht und Wut.Die Probleme und die Zermürbung einer langjährigen Recherche sind nicht nur auf der Ebene des medizinischen Aspektes zu finden. Abgesehen vom enormen Zeitaufwand für die unzähligen Arzt- und Spitaltermine, kosten diese den betroffenen Patienten auch sehr viel Energie sowie einiges an Geduld und Ausdauer. Gleichzeitig sind da die Kosten für den Selbstbehalt der gesetzlichen Krankenkassen, die Selbstkosten für mögliche Therapien und Versuche in Eigeninitiative die vorhandenen Symptome der Erkrankung zu lindern. Darüber hinaus sind auch die finanziellen Einbussen infolge Erwerbsaufgabe eine nicht zu übersehende Realität.Ohne konkrete Diagnose ist die Beweislage einer bestehenden bzw. vorliegenden Erkrankung nicht gegeben und wird von den Versicherungen als solche auch nicht anerkannt. Da spielt es auch keine Rolle, dass Ärzte und Spezialisten die Beschwerden des Patienten ernst nehmen und den Betroffenen als hundert Prozent arbeitsunfähig einstufen.Es war für mich jedoch nicht mehr möglich einer geregelten Arbeit nachzugehen. Ohne meinen Mann wäre ich zum Sozialfall geworden. Was hat es bedeutet, schliesslich eine Diagnose zu bekommen?Auf der physiologischen Ebene hat die Diagnosestellung wenig bis gar keinen Einfluss gehabt. So haben Schmerzen und Anzahl Symptome über die Jahre nochmals zugenommen.Der Verlauf der zugrunde gehenden Muskelzellen mit dem Myozyme/Nexviadyme konnten hingegen deutlich verlangsamt werden. Mit der Infusionstherapie konnte die für die Pompe typische Abnahme der Muskelmasse erheblich verlangsamt oder sogar über diesen Zeitraum etwas gestoppt werden.Auf der anderen Seite haben die Untersuchungsergebnisse und die korrekte Diagnosestellung mir die Genugtuung gegeben, dass einige Ärzte/Fachärzte mit ihrer immer wieder erwähnenden psychosomatischen Schiene nicht ganz richtig lagen. Man möge mir verzeihen, dass ich nach allem was ich während dreier Jahrzehnten durchlebt habe, deren fachliche Kompetenz auch gerne Mal in Frage stelle. Was denken Sie, wie wäre Ihre Situation, wenn Sie noch immer keine Diagnose hätten? Wie wäre Ihr Leben dann möglicherweise verlaufen?Diese Frage würde ich gerne mit einer Gegenfrage beantworten: Wie würde es mir heute gehen, wenn ich die Diagnose dreissig Jahre früher erhalten hätte? Dies zu beantworten würde hellseherische Fähigkeiten von meiner Seite voraussetzen. Es wäre reine Spekulation und würde mir heute weder nützen oder mich denn weiterbringen.Was ich hingegen sagen kann: durch eine frühere Diagnosestellung wären mir und meinem Mann sehr viel Kummer, Leid und Geld erspart geblieben. Gab es allenfalls nach der Diagnose Schwierigkeiten mit der Krankenkasse um ein Medikament oder eine Therapie zu bekommen?Glücklicherweise brauchte ich mir diesbezüglich noch nie Sorgen zu machen. Die Krankenkasse bezahlt das Medikament (Enzymersatz) aus der Grundversicherung, sofern das Produkt auf der Spezialitätenliste aufgeführt ist. Was bedeutet Ihre Krankheit für Sie heute im Alltag?Die Krankheit bestimmt unseren gesamten Alltag und lässt fast keinen Raum für Spontanität und Vorausplanung zu. Ein normales und uneingeschränktes Leben ist dadurch kaum mehr möglich.Soziale Interaktionen ausserhalb unseres Hauses finden heute fast ausschliesslich im Rahmen des Wocheneinkaufs sowie bei Arzt- und Spitalterminen statt. Diese werden so geplant, dass immer eine Drittperson mit dabei sein kann.Der Energieverbrauch ist hoch und die verbleibende Energiezeit extrem kurz. Wetter, Stress, Schmerzen und Erschöpfung haben enormen Einfluss auf die noch zur Verfügung stehenden Kraft und meine Ausdauer. Termine, Verpflichtungen und Erholungsphasen müssen aufeinander abgestimmt werden.Mit den Jahren habe ich gelernt mit den Einschränkungen zu leben und sie so zu handhaben, dass ich mich trotz den Gegebenheiten an vielerlei Dingen erfreuen kann. Sicherlich komme ich immer wieder in Situationen in denen ich lieber aufgeben möchte. Es sind jene Momente, in denen die Erschöpfung so hoch ist, dass sie den gesamten Körper lahmlegt und mir einfach die nötige Kraft fehlt dagegen anzugehen.Das Studium der Tierhomöopathie hat mir den Weg zur Diagnose geebnet. Mit der späten Diagnose lässt sich die Zeit eines früheren Behandlungsbeginns mit dem Enzymersatz leider nicht mehr aufholen. Dafür werde ich heute von sehr qualifiziertem Fachpersonal betreut und darf Jederzeit mit der Unterstützung und Aufmerksamkeit seitens der behandelnden Ärzte zählen.