«Er ist der Messi der Unfallchirurgie» 19. Mai 2022 Sebastián Gaspar Gómez Tejada ist Chirurg aus Argentinien und hat im Mai ein Fellowship der AO-Foundation (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) in der Chirurgie des Kantonsspitals Graubünden (KSGR) verbracht. Aufgrund der Pandemie hatte sein Aufenthalt zwei Mal verschoben werden müssen. Plötzlich ging es dann aber sehr schnell. Bild Sebastián Gaspar Gómez Tejada Sebastián, woher genau aus Argentinien kommen Sie? Ich lebe in Mendoza in der Region Cuyo. Die Stadt liegt mitten im Weinbaugebiet Argentiniens. Man kann bei uns aber auch gut Skifahren. Sie waren im Frühling für einen Monat am Kantonsspital Graubünden. Wie ist es dazu gekommen? Ich hatte mich schon 2016 für diesen Aufenthalt beworben. Ich wollte dorthin, wo die AO-Foundation ihre Wurzeln hat. Professor Martin Allgöwer, der von 1956 bis 1966 Chefarzt Chirurgie in Chur war, hatte die Gründung der AO-Foundation 1958 mitinitiiert. Ich hatte zudem die Publikationen von Dr. Christoph Sommer, Dr. Thomas Müller und Dr. Philipp Stillhard sehr interessiert verfolgt und gelesen. Ich hatte bereits so viel gelernt und in meinem Berufsalltag in Mendoza anwenden können. Arbeiten Sie in einem öffentlichen Krankenhaus? Ja, im Hospital Lagomaggiore in Mendoza und zusätzlich in zwei Privatkliniken. Ausserdem unterrichte ich an der Universität. Sie arbeiten in einem Spital in Argentinien, das nach dem Lago Maggiore benannt ist? Ah, nein (lacht). Es ist benannt nach einem Physiker namens Luis Lagomaggiore. Warum wollten Sie unbedingt ans KSGR zu Dr. Christoph Sommer? Dr. Rodrigo Pesantes, ein in Argentinien sehr gut vernetzter Chirurg, hatte mir sehr ans Herz gelegt, nach Chur und zu Dr. Christoph Sommer zu gehen. Sie müssen wissen, er ist in seinem Fachbereich weltberühmt. Er ist ein hervorragender Lehrer. Er kann Komplexes einfach vermitteln. Ich würde sagen, er ist der Lionel Messi der Unfallchirurgie. Warum hat es so lange gedauert, bis sie ans KSGR kommen konnten? Bei meiner ersten Bewerbung 2016 waren einige Leute vor mir auf der Warteliste für einen der drei Fellowship-Plätze, die die AO-Foundation für Argentinien anbot. 2019 war es dann so weit und ich hatte mir meinen Platz für Chur ergattern können. Dann kam Corona und das Ganze verschob sich nochmals. Im November 2021 war dann endlich klar, dass ich im April nach Chur kommen könnte. Ich hatte dann aber nur noch ein paar Monate Zeit, um alles zu organisieren. Marco Rettich, der Klinikmanager der Chirurgie am KSGR, unterstützte mich dabei tatkräftig, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Als dann alles organisiert war, begann der Krieg in der Ukraine. Ich wurde sehr unsicher, ob ich nach Chur würde reisen können. Ich hoffte auf das Beste und beobachtete die Situation. Es hat dann aber schlussendlich offensichtlich geklappt. Nicht ohne eine weitere Herausforderung (lacht). Ich hatte meinen Flug geplant und meine Familie hatte eine Abschiedsfeier organisiert. Plötzlich bekam ich von der Fluggesellschaft die Benachrichtigung, dass ich einen Tag früher fliegen müsse. Da fragte ich mich dann, ob mir das Schicksal sagen will, dass ich nicht nach Chur reisen sollte. Diesen Gedanken schob ich dann aber rasch zu Seite. Am Ende klappte alles wunderbar. Haben Sie sich hier wohlgefühlt? Sehr. Wissen Sie, es gibt bei uns in Argentinien gewisse Annahmen über die Schweiz und deren Bewohner. Es heisst, hier sei alles sehr durchorganisiert, extrem professionell, exakt und die Menschen seien distanziert. Ich nahm mir also vor, vorsichtig zu sein, mein argentinisches Temperament etwas zurückzuhalten und nicht gleich alle zu umarmen, wenn ich sie treffe. An meinem ersten Tag zog ich mir ein weisses Hemd an, band ich mir eine Krawatte um und ging ins KSGR. Marco Rettich stellte mich Christoph Sommer vor und der fragte mich schmunzelnd, warum eine Krawatte trage und ob ich in Mendoza eine tragen müsse. Ich antwortete, dass dies nicht der Fall sei und zog meine Krawatte erleichtert wieder aus. Meine Krawatte wurde hier im Team dann zum Running-Gag (lacht). Dann haben sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet, dass hier alle distanziert sind? Überhaupt nicht. Die Menschen hier sind alle unglaublich freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit. Man hat einen respektvollen, humorvollen und herzlichen Umgang miteinander. Ich fühlte mich sofort willkommen und zugehörig. Schon fast argentinisch? Genau (lacht). Gleichzeitig ist hier alles gut organisiert, extrem professionell und exakt. Neben dem wertschätzenden Umgang ist hier auch die interprofessionelle Zusammenarbeit sehr toll. Alle arbeiten Hand in Hand zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Nicht, dass dies in Argentinien nicht auch getan würde – hier kümmert man sich aber auch im Team um einander, hilft einander und unterstützt sich gegenseitig. Egal ob Pflege, Ärzteschaft oder all die Bereiche rundherum. Die Zusammenarbeit ist wunderbar. Das hat mir sehr gut gefallen. Wir sind in Argentinien schon auch Profis. Von euch Schweizern können wir aber noch viel lernen. Sie scheinen sich hier wirklich wohl gefühlt zu haben. Sehr. Während meiner Zeit hier sind die Menschen im Spital zu Familie und Freundeskreis geworden. Die Leute hier sind so nahbar und umgänglich. Auf jeder Stufe. Wir haben daheim einen Ausdruck dafür: La humilidad de los grandes – die Demut der grossen. Chefs und Kaderärzte, die immer da sind, wenn man sie braucht, die einem alle Fragen beantworten und die auch an Wochenenden und Feiertagen Einsätze leisten – Menschen, die mit Freude und Engagement zur Arbeit kommen. Das habe ich hier erlebt. Ich bin für das alles sehr, sehr dankbar.